MFO: Maschinenfabrik Oerlikon

Die Maschinenfabrik Oerlikon gehörte zu den wichtigsten Unternehmungen des Industrie-Standortes Oerlikon. Am 18. 11. 2023 führte der Ortsgeschichtliche Verein Oerlikon eine Tagung zur «MFO: Aufstieg und Ende» mit namhaften Autoren durch. Die Tagung sollte auch einen nachhaltigen Beitrag zur Oerliker Geschichte leisten. Zu diesem Zweck wurden die Autoren gebeten, Kurzfassungen ihrer Referate als Blogbeiträge zu verfassen, die hier präsentiert werden.

Kilian T. Elsasser: Die MFO setzt auf die Elektrifizierung

Durch erfolgreiche Pionierversuche im Bereich der Stromübertragung und Eisenbahnelektrifizierung gelang es der MFO anfangs des 20. Jahrhundert zu einem führenden elektrotechnischen Unternehmen aufzusteigen und bis Ende der 1920er Jahre namhafte Reserven anzulegen. Ein besonderer Erfolg gelang der MFO im Lokomotivenbau mit der Entwicklung und Herstellung der Gotthard-Güterzugslokomotive Ce 6/8 II «Krokodil».

Rudolf Jaun: Akkordkonflikte, Reorganisationsversuche und Arbeitsfrieden 1935 – 1955

Die MFO wurde durch die Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre besonders hart getroffen: über die Hälfte der Arbeiterbelegschaft musste entlassen werden. Nach dem Wiederaufschwung und dem Generationenwechsel in der Direktion wurden in der MFO Reorganisationsmassnahmen eingeleitet, insbesondere um die andauernden Akkordkonflikte zwischen Facharbeiterschaft und Werkstattmanagement zu bewältigen. Die MFO wurde in diesem Zusammenhang eine Hochburg des Arbeitsfriedens, was einen scharfen Lohnkonflikt im Jahre 1955 jedoch nicht verhinderte.

Matthias Wiesmann: Die MFO unter der Leitung von Hans Schindler 1935 – 1957

Die MFO blieb bis in die 1950er Jahren ein von den Familien Schindler und Huber beherrschte Unternehmung. Von herausragender Bedeutung war die Ablösung des Generaldirektors und «Fabrikherren» Dietrich Schindler durch seinen Sohn Hans Schindler. Als vielseitig kulturell interessierter Mensch wurde Hans Schindler, der zusammen mit seinem Cousin Rudolf Huber, die MFO leitete, jedoch nicht heimisch. In den 1950er Jahren erfolgte der Übergang des Familienunternehmens zu einem Managerunternehmen.

Peter Ritschard: Die MFO im 20. Jahrhundert: Krise, Stabilisierung und Verkauf an die BBC 1945 – 1967

Nach dem Zweiten Weltkrieg vermochte sich die MFO danke der Nachkriegskonjunktur und formellen Marktabsprachen mit der BBC und den Ateliers de Sécheron Genève vorerst zu halten. Trotz letzten grossen Investitionen aus den Reserven der 1920er Jahre in eine moderne Grosstransformatoren-Fabrik gelang es der MFO nicht ihre überspannte Produktepalette zu straffen. Nach einer kurzfristigen Stabilisierung durch eine Neubesetzung des Managements zeigte die BBC Interesse an der Transformatorenfabrik und am Produktionsstandort für Lokomotivenbau und kaufte die MFO auf und integrierte sie nach und nach in das eigene Unternehmen.

Adrian Knoepfli: MFO. Sonderfall oder typisch für die Schweizer Maschinenindustrie?

Die MFO war ein typischer, prägender Repräsentant der Schweizer Maschinen- und Metallindustrie, die sich im Laufe der Industrialisierung zur Schweizer Leitindustrie entwickelte und als solche die Textilindustrie abgelöst hat. Sie war ein ziemlich normales Unternehmen mit herausragenden Leistungen und starken Positionen auf verschiedenen Märkten, aber auch Fehlern, Schwächen und verpassten Chancen. Die MFO war Teil der Oerliker Monokultur der Maschinen- und Mettallindustrie zusammen mit der Kugellagerfabrik SRO, der Werkzeugmaschinen Fabrik Oerlikon-Bührle und der Akkumulatorenfabrik Oerlikon.

Die MFO setzt auf die Elektrifizierung der SBB

Kilian T. Elsasser

Die Elektrifizierung der Eisenbahnen der Schweiz ist heute eine unumstrittene Erfolgsgeschichte. Die Schweiz und ihre Eisenbahnen hätten aus der „schwarzen“ Kohlenot eine „weisse“ Kohletugend gemacht. Neben der Verwendung von einheimischer Energie, erhöhte der elektrische Betrieb auch die Kapazität und verkleinerte die Betriebskosten massgeblich. Die Art der Elektrifizierung der SBB war vorerst heftig umkämpft. Die Elektroindustrie kämpfte teilweise mit harten Bandagen für Grossaufträge. Nach einigem Zögern trieben die SBB das Projekt mit grosser Geschwindigkeit voran. Erst im Zweiten Weltkrieg verstummte jegliche Kritik. Die Elektrifizierung wurde zum Mythos.

Elektrolokomotive Ce 4/4 I von 1904 MFO, SLM auf der Versuchsstrecke Seebach-Wettingen im künstlich angelegten Tunnel (Foto: Slg. MFO, Verkehrshaus)

Wegen Absatzschwierigkeiten versuchte die Industrie, die Elektrifizierung der SBB voranzutreiben. Obwohl Emil Huber Jr. noch Maschineningenieur studierte, vermerkte er in Briefen an seinen Vater von einer Studienreise in die USA, dass mit der Elektrizität ein neuer Markt entstehe. Die MFO begann langsam auf elektrotechnische Produkte umzuschwenken. 1902 beteiligte sie sich an der Schweizerischen Studienkommission für elektrischen Bahnbetrieb. Die Initiative der Privatindustrie löste ein Forschungsprojekt mit einem Volumen von 200’000 Franken aus. Dazu kamen beträchtliche Aufwendungen für einen Versuchsbetrieb mit Einphasenwechselstrom der Maschinenfabrik Oerlikon MFO Seebach – Wettingen mit 400’000 Franken und einen Drehstrombetrieb der Brown Boveri & Cie. BBC im Simplontunnel von gegen einer Million Franken.

Siemens-Schuckert Ce 4/6 3, MFO/SLM Ce 4/4 I und MFO/SLM Ce 4/4 2 in Seebach (Foto: Slg. MFO, Verkehrshaus)

Die Bedeutung des Engagements lässt sich am Umsatz von 1920 von 75 Mio Franken der BBC erahnen, der grössten Maschinenfabrik der Schweiz. Trotz der erfolgreichen Erprobung der Elektrifizierung, wollten sich die SBB vorerst nicht entscheiden. Für die MFO wurde die finanzielle Lage dramatisch. Direktor Emil Huber-Stockar verliess die Firma. Dies entpuppte sich als Glücksfall. Der von Huber-Stockar verfasste Schlussbericht der Kommission zeigte klar auf, dass ein elektrischer Betrieb der Gotthardlinie mit hochgespanntem Wechselstrom deren Kapazität massgebend vergrössern würde und ein Betrieb rentabel wäre. 1912 wurde Huber-Stockar Leiter der Abteilung für die Einführung der elektrischen Zugförderung der SBB. Bestätigt auch durch den Elektrifizierungsentscheid der BLS 1908 bewilligte der Verwaltungsrat der SBB 1913 40 Millionen Franken für die baulichen Massnahmen der Elektrifizierung der Gotthardlinie. Die Ablösung des Dampfbetriebs war auf 1918 geplant. Denn obwohl die Studienkommission den Einphasenwechselstrom vorgeschlagen hatte, liessen die SBB den Systementscheid offen. Walter Boveri, Mitbegründer der BBC, hatte seinen Einfluss im Verwaltungsrat der SBB geltend gemacht. Walter Boveri versuchte über die Frage, ob die Kraftwerke der SBB durch die Bahn selber betrieben werden sollten, den Gleichstrombetrieb durchzusetzen. Wenn die SBB von den öffentlichen Kraftwerken Drehstrom hätten übernehmen müssen, wären zwei Umformungen nötig gewesen, die den Einphasenwechselstrom unwirtschaftlich gemacht hätten. Walter Boveri kämpfte mit diesem Vorschlag für eine optimale Auslastung der privaten Kraftwerke, aber vor allem gegen seinen Konkurrenten, die MFO, die beim Einphasenwechselstrom führend war.

MFO/SLM Ce 6/6 der BLS von 1910. Erste leistungsstarke Einphasenwechselstrom-Lokomotive der Welt. (Slg. MFO Verkehrshaus)

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 setzten die SBB die Arbeiten aus. Die Einphasenwechselstrom-Fraktion reagierte auf den Vorschlag von Boveri weitere Versuche mit Gleichstrom durchzuführen. Sie organisierte 1915 eine Diskussionsversammlung im Berner Grossratssaal. Sie stellten nun nicht mehr die günstigen Betriebskosten und die Effizienzsteigerung ins Zentrum. Eine elektrifizierte Gotthardlinie wurde zum Pfeiler einer energietechnisch unabhängigen Schweiz emporstilisiert. Zwei Monate später bewilligte der Verwaltungsrat der SBB am 18. Februar 1916 die Elektrifizierung. Walter Boveri gab nicht auf. Am 21. Juli 1916 schrieb er der Generaldirektion, dass die SBB in ihren eigenen Kraftwerke Drehstrom erzeugen sollten. Der Einphasenwechselstrom-Fraktion unterstellte er, dass sie gegen ein einheitliches schweizerisches Stromsystem seien. Emil Huber-Stockar, Oberst der Gotthardbefestigungen, ermahnte die SBB-Generaldirektion: „Nach meiner Ansicht sollte man gegen diesen Angriff kein Pulver verknallen. Diese Herren sollen uns […] vorrechnen, wie viel die Bundesbahnen gewännen, wenn sie diese Kraftwerke für 50-periodigen Drehstrom einrichten würden.“ Die SBB setzten die Arbeiten fort und betrieben die Strecke Erstfeld – Bellinzona seit dem 29. Mai 1921 elektrisch betrieben. Mangelnde und zehnmal höhere Kohlepreise hatte der Schweiz die Nachteile des Dampfbetriebs drastisch aufgezeigt.

Bei den Bestellungen der elektrischen Ausrüstungen bewahrheiteten sich die Befürchtungen von Walter Boveri. Am 26. Mai 1919 schrieb er den SBB, dass die BBC bei den Vergebungen für die Kraftwerkbauten und die Lokomotiven ungebührlich übergangen würden. Die Konfrontation suchend sandte die Badener Firma eine Kopie des Briefs gleichzeitig an den Regierungsrat des Kantons Aargau sowie an die Bundesräte, die dem Post- & Eisenbahn-Departement und dem Volkswirtschaftsdepartement vorstanden. Darin verlangte die BBC, dass die Aufträge im Verhältnis der Beschäftigten der Lieferfirmen vergeben würden, womit sich das Auftragsvolumen der BBC auf Kosten der MFO und der Sécheron, Genf um einen Drittel erhöht hätte. Die Generaldirektion ging inspiriert durch die Vernehmlassung bei Huber-Stockar in ihrem Antwortbrief zum Gegenangriff über. „ … im Warten auf die zwei Probelokomotiven [der BBC] haben wir eine Geduld an den Tag gelegt, die an die Grenze des Möglichen geht.“ Der heftige Briefwechsel endete mit einer Aussprache beim Bundesrat, die an der Vergabepolitik der SBB nichts änderte.

Elektrolokomotive Ce 6/8 II 12251 „Krokodil“ der MFO, SLM 1919 (Slg. MFO, Verkehrshaus)

Im harten Konkurrenzkampf profitierte die MFO auch von den Fehlern der BBC. Die Güterzugsprobelokomotive Ce 6/8 I musste wegen Gewichtsüberschreitungen nachträglich mit zwei Laufachsen verlängert werden. Die MFO und die Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik Winterthur SLM handelten rasch und schlugen der SBB eine verbesserte Lokomotive vor, die Ce 6/8 II «Krokodil».Die SBB bestellten bei der MFO noch vor der Auslieferung der Probelokomotive der BBC weitere Lokomotiven. Die Lokomotive eignete sich, mit den sechs Antriebsachsen verteilt auf zwei gelenkig verbundene Rahmen, schwere Güterzüge die kurvenreichen Rampen zum Gotthardtunnel hinaufziehen.

Die BBC lernte rasch. Sie widmete sich intensiv der Entwicklung eines Einzelachsantriebs. Dieser löste den starren, von der Dampflokomotive übernommenen Gruppenantrieb mit Stangen ab. Aufgrund der guten Betriebsresultate bestellten die SBB Lokomotiven der BBC mit Buchli-Antrieb in einer Serie von mehr als 100 Stück und erklärten sie zur Einheitslokomotive. Die SBB verlangten von der BBC aus beschäftigungspolitischen Gründen, dass ein Teil der Lokomotiven von der Sécheron und der MFO in Lizenz gebaut würden. Einen symbolischen Kontrapunkt setzte die MFO 1939 mit dem Bau der Landi-Lok, der stärksten Lok der Welt, die an der „Landi 39“ in Zürich Furore machte. Deren Einzelachsantrieb konnte sich im Gegensatz zum Federantrieb der BBC, der die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg prägte, nicht durchsetzen. Mehr und mehr übernahm die BBC die Führung im Elektrolokomotivbau und integrierte in den 1960er Jahren die beiden Konkurrenten MFO und Sécheron in die BBC.

In der Zwischenkriegszeit nutzten die SBB die Gunst der Stunde. Bis 1928 elektrifizierten die SBB 55 % ihres Netzes auf dem 87 % der Bruttotonnenkilometer gefahren wurden. Die SBB erhöhten ihre Kapazität stark, fuhren mit eigener Energie und wurden dem Ruf nach Arbeitsbeschaffungsmassnahmen gerecht. Die Elektroindustrie konnte die Früchte ihrer Vorinvestitionen ernten. In der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre wurde die SBB auch stark kritisiert. Die Erträge waren zurückgegangen. Schuldzinsen belasteten die Rechnung. Die SBB hatten trotz der steigenden Arbeitslosenzahl, die Anzahl ihrer Beschäftigten von 38‘000 Personen (1913) auf 27‘000 Personen (1939) reduziert, weil der elektrische Betrieb weniger Personal benötigt. Die SBB liessen sich nicht beirren. Sie elektrifizierten weitere knapp 500 km. Die Elektrifizierung sollte sich auszahlen. Die Transportbedürfnisse der Achsenmächte und der schweizerischen Kriegswirtschaft konnten im Zweiten Weltkrieg befriedigt werden. Die Elektrifizierung wurde zum Mythos einer unabhängigen Schweiz, die SBB zum verbindenden Element. In der ersten Phase der Elektrifizierung bis 1928 investierten die SBB 675 Millionen Franken. 60 Millionen Franken wurden vom Bund übernommen, der Rest über Kredite finanziert. Die Kosten für die erste Phase entsprachen mehr als dem eineinhalbfachen des Ertrags der SBB von 1928. Verglichen mit dem heutigen Ertrag der SBB entspräche dies 13 Mia Franken. Die Kosten der weiteren Elektrifizierung sind nicht bekannt. Die SBB haben mit der sehr raschen Elektrifizierung die Basis für die Befriedigung der wachsenden Transportbedürfnisse der Nachkriegszeit gelegt.

Investitionen in die Bahn beziehungsweise in eine öffentliche Infrastruktur sind ein finanzielles Engagement in eine Zukunft, die man nicht kennt. Eine Argumentation, die sich nur auf eine kostendeckende Befriedigung von (zukünftigen) Transportbedürfnissen abstützt, ist zum Scheitern verurteilt. Es braucht den Mut neue Technologien zu entwickeln, Fantasie den Ergebnissen einen höheren Nutzen zu geben, Personen, die die Sache hartnäckig verfolgen, Glück die richtigen Vorbereitungen zum richtigen Zeitpunkt getätigt zu haben und einen langen Atem.


Weiterführende Literatur

Kilian T. Elsasser. Heimische „weisse“ statt deutsche „schwarze“, in: Via Storia und
Kilian T. Elsasser(Hg.) Der direkte Weg in den Süden – die Geschichte der Gotthardbahn. Zürich 2007. S. 87-126
Kilian T. Elsasser, Bahnen unter Strom – Die Elektrifizierung der Schweizer Bahnen. Bern 2020.

Die MFO 1935 – 1955: Akkordkonflikte, Reorganisationsversuche und Arbeitsfrieden

Rudolf Jaun

Die MFO hatte im Zuge der Bahnelektrifizierung nach dem Ersten Weltkrieg einen fulminanten Aufschwung erlebt. Sowohl im Lokomotiv- wie im Kraftwerkbau errang sie nach ihrem «Sieg» über die BBC in der Frage des Bahnstromsystems (Wechselstrom vs. Gleichstrom) für kurze Zeit eine führende Stellung, blieb jedoch gemessen an der Beschäftigtenzahl seit 1904 hinter der BBC zurück.
Bei Generatoren und der elektrischen Lokomotivausrüstung hatte die MFO für die Schweiz einen durchschnittlichen Marktanteil von 40 – 50 %, bei den übrigen Produkten einen Anteil zwischen 5 und 35 %; auf dem Weltmarkt hatte die MFO keine marktbeeinflussende Stellung.
Gegenüber dem Hauptkonkurrenten BBC, die dasselbe breite Produktionssortiment führte, hatte die MFO durchwegs kleinere Marktanteile. Diese Positionierung unter den Elektroindustrie-Unternehmen wird die MFO bis zum Aufkauf durch die BBC 1967 nie mehr verlieren.

Bis Mitte der 1930er Jahre wurde die MFO durch die Weltwirtschaftskrise hart getroffen: gegenüber 1930 verlor sie mehr als die Hälfte der Fabrikarbeiterbelegschaft und fast einen Drittel der Angestellten.
1935 trat auch der langjährige «Fabrikherr» alter Schule, Dietrich Schindler zurück und der Sohn Hans Schindler rückte nach. Dietrich hatte die mit der Bahnelektrifizierung erlangten Gewinne in Pfund- und Dollar-Papieren angelegt und eisern gegenüber dem Betriebsmanagement verteidigt. Er verhinderte innovative Neuinvestitionen und Erneuerungen des Produktionsapparates: «Das grosse Problem heisst Absatz nicht Produktion». Von 1928 bis 1944 amtete als Verwaltungsratspräsidenten ein Sohn des MFO-Gründers; Max Huber eine Koryphäe der Rechtswissenschaften, aber kein Unternehmer.

Max Huber (1874 – 1960), Professor für staats- und Völkerrecht an der Universität Zürich 1902 – 1921; Mitglied des intern. Gerichshofes in Den Haag 1920 – 1932; VR-Präsident MFO 1928 – 1944

Dietrich Schindler, Generaldirektor der MFO 1912 – 1935

Eduard von Goumoens, Direktor und VR-Delegierter Viscose Emmenbrücke 1906 – 1943; VR MFO 1918 – 1954, Präsident 1946 – 1954

Von 1946 bis 1954 amtete Edouard von Goumoens, ehemaliger Artillerie-Instruktionsoffizier und Direktor der Viscose Emmenbrücke als Verwaltungsrats-Präsident. Bei Amtsantritt bereits 72 Jahre alt. Mehr Verwalter als Unternehmer. Mit dem Wiederaufschwung Mitte der 30er Jahre machten sich in der vielfältigen Produktion der MFO auf allen Ebenen ernsthafte Probleme bemerkbar.
Seit 1936 versuchte die Unternehmensleitung den Betrieb in Oerlikon zu sanieren und wieder gewinnbringend zu gestalten. Der geheime Anlagefond und die Entlassung der Hälfte der Arbeiter hatte erlaubt, die Krisenjahre finanziell unbeschadet zu überstehen. Vor diesem Hintergrund wurde zuerst mit dem Betriebswissenschaftlichen Institut an der ETH zaghafte Reorganisationsversuche unternommen und 1939 unter der Leitung des management consulting engineer Hans Pruppacher und dessen Mitarbeiter Jörg Steinmann eine profunde Analyse der Produktion der MFO vorgenommen und anschliessend bis in die 1950er Jahre gegen viele Widerstände aus den Konstruktions- und Produktionsabteilungen Reorganisationsmassnahmen eingeleitet.

Der Bericht Pruppacher/Steinmann zeigte:

  • 1. ein gewisses Fehlen an klaren Zielsetzungen und Geschäftspolitiken der Unternehmensleitung;
  • 2. ein Fehlen an klarer und zweckmässiger Verantwortungsgliederung auch in der obersten Geschäftsleitung;
  • 3. keine Koordination und Führung basierend auf Zahlen;
  • 4. ein gewisser Mangel an Kontroll- und andern Hilfsmitteln, über die die Leitung verfügen sollte, um den Untergebenen ihre Absichten mitzuteilen und deren Ausführung zu kontrollieren;
  • 5. ein teilweises Fehlen von rationellen Arbeitstechniken und Arbeitsmitteln, vor allem in der Merchandising Funktion, dem Einkauf, dem Verkauf und dem Personal.

Pruppacher/Steinmann unterschieden folgende Hauptfunktionen eines industriellen Betriebes: Merchandising (Marketing), Konstruktion, Verkauf, Fabrikation, Finanz und Kontrolle sowie Personal, wobei sie dazu auch die industrial relation, die soziale Beziehungspflege zu den Mitarbeitenden und die öffentliche Image- und Reputationspflege zählten.
Für den Bereich Fabrikation stellten sie ein traditionelles, von Routine geleitetes Arbeiten, ohne exakte Vorgaben und Aufzeichnung von Produktionsdaten fest:
«Es wird auch keine Zusammenstellung über die Arbeitsaufträge, die mit zu kleinem oder grossem Akkordrest (Leistungsanteil über dem Stundenlohn) abschliessen, gemacht. Es ist dadurch eine wirksame Kontrolle der Wirtschaftlichkeit der Fabrikation und der Leistung der Akkordarbeiter erschwert, wenn nicht verunmöglicht.»

Stapelproduktion

Die Studie schätzte mögliche Kostensenkungen von 10 bis 30% ein. Die im Akkord arbeitenden Facharbeiter – Hilfsarbeiter arbeiteten im Stundenlohn – nannten diese Zielsetzungen seit je «Akkorddrückerei» bzw. «Preisdrückerei» oder «Akkordschinderei», weil in der Akkordarbeit für die zu bearbeitenden Werkstücke oder Werkstück-Serien «Preise» in Relation zum Stundenlohn mit den Meistern ausgehandelt wurden.
Ab 1940 wurden die durch die Analyse Pruppacher/Steinmann empfohlenen Reorganisationen in Angriff genommen.

Ziel war «…die Meister und Berufsarbeiter von administrativen und nebensächlichen Arbeiten zu entlasten und die Leistung von Produktivarbeit pro Arbeiter und pro Maschine zu steigern»
Insbesondere wurden den Arbeitern die Akkordhefte weggenommen und durch ein Kartensystem ersetzt. Dies schwächte die Position der Facharbeiter enorm: diese verglichen jeweils die «Akkordpreise» untereinander und konnten sich so im Aushandeln der Stückpreise absprechen. Genau das wollte das Werkstattmanagement verhindern und vermeiden, dass die Arbeiter selbst über das Arbeitstempo bestimmten.
«Punkto Akkord- und Lohndrückerei hat er (der Chef Kalkulator) sein Unwesen jetzt aber auf die Spitze getrieben und der Hass steigert sich immer mehr auf diesen Streber und Nichtskönner. Wir brauchen den Mann nicht mit seinem Chronometer !!!» lautet ein Protokoll-Eintrag der im SMUV organisierten Arbeiter.

Im Bereich der Fabrikation löste die Akkordvergabe seit den frühen 30er zunehmend Akkordkonflikte aus, welche anfangs 40er Jahre kulminerten. Es entstanden Lohnkonflikte, welche das Verhältnis der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft zwischen dem Betriebsmanagement grundlegend verändern sollte.

Schema Arbeitsvorbereitung Apparatefabrikaton

Pruppacher/Steinmann empfahlen angesichts des «bedeutenden Prozentsatzes den die Lohnkosten von den Totalkosten ausmachen», einen «Ausbau des Personalwesens», da die «zu erwartenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten insbesondere Anforderungen an das menschliche Gleichgewicht und das wirtschaftliche Auskommen jedes Einzelnen, wie auch an die aktive Zusammenarbeit des gesamten Personals stellen, ist es besonders wichtig, dass auf dem Gebiete der Industrial relation, neben der materiellen Seite, der Pflege und Förderung der geistigen Einstellung des Personals spezielle Aufmerksamkeit geschenkt wird.»
Der Direktion der MFO leuchtete diese Aussage ein und sie holte die «geistige Nahrung» für «die Pflege und Förderung der geistigen Einstellung des Personals» im Zentrum der Bewegung für «Moralischen Aufrüstung» in Caux am Genfersee. Jedoch nicht ohne sich noch 1937 nach der Regierungsübernahme der französischen Volksfront beim Zürcher Regierungsrat zu versichern, ob er mit Gewaltmitteln einschreiten würde, wenn «irgendwo der Versuch von Fabrikbesetzungen gemacht werden sollte» und dem Vaterländischen Verband erlaubt würde, in der MFO «geeignete Personen» anzuwerben, um «im Fall von Aufruhr, Streiks usw. … lebenswichtige Betriebe zu schützen».
Die Moralische Aufrüstung versprach eine «Umerziehung» der Arbeiterschaft in dem sie die industrial relation moralisierte und zu einer Angelegenheit von «Ehrlichkeit, Reinheit, Selbstlosigkeit und dienender Nächstenliebe» machte. 1937 wurde auch das «Friedensabkommen» in der schweizerischen Maschinen- und Metallindustrie abgeschlossen, welches Lohnbewegungen mittels Streiks ausschloss und ebenfalls die Grundlagen für eine «Umerziehung» der Arbeiterschaft vom Klassenkampf zur Zusammenarbeit mit der Unternehmerschaft legte.
Die beiden Söhne der Besitzerfamilien Huber und Schindler erblickten einesteils in der Ideologie der Moralischen Aufrüstung andernteils in den Grundlagen des Friedensabkommens einen Weg, für eine erspriessliche Zusammenarbeit mit der Arbeiterschaft in den Werkstätten der Fabrik. Rudolf Huber begeisterte sich primär für die Moralische Aufrüstung, Hans Schindler für die Friedenspolitik des SMUV-Präsidenten Konrad Ilg.
1952 wurde in den «Grundsätzen für unsere Tätigkeit in der MFO festgehalten: Jedes Industrieunternehmen steht in einem Daseinskampf, der von uns nicht nur ein gemeinsames Ziel, sondern in gleich Mass eine willige Einordnung jedes Einzelnen in einem Gesamtrahmen verlangt. … … als höchstes Ziel all unseres wirtschaftlichen Strebens: jedem unserer Mitarbeiter ein noch sinnvolleres und glücklicheres Leben ermöglichen. … Wir brauchen bessere Methoden, um rationell zu produzieren … neue Wege, um die Zusammenarbeit zu entwickeln. … Jedes Glied unserer grossen Arbeitsgemeinschaft leistet nach Geschlecht, Alter, Beruf und Können oder Gesinnung einen Beitrag an das Ganze… Wir verfolgen alle das gleiche Ziel, die Zusammenarbeit in Geist und Tat immer mehr zu vertiefen und zwar nicht nur Zusammenarbeit nach oben oder nach unten, sondern ebenso sehr unter Gleichgestellten.» Der moral men sollte anstelle des economic men treten.
Diese Aussagen der Moralischen Aufrüstung, welche eine harmonische Gesellschaft propagierte, lenkten von der rationalen Wissenschaftlichen Betriebsführung ab, welche die messbaren Grössen der Produktivitäts- und Lohnsteigerung in den Vordergrund stellte.
Auf das Paradigma der Produktivitäts- und Lohnsteigerung sprang auch die Führung des SMUV auf. Sie unterstützte den Einbezug der organisierten Arbeiterschaft in die Massnahmen für rationellere Produktion, welche durch Produktivitätssteigerung zu Lohnsteigerungen führen sollte. Bei der MFO wurden sowohl die Arbeiterkommission als auch die gewerkschaftlichen Vertrauensleute und die Gewerkschaftssekretäre in diese Politik eingespannt und zusätzlich im Weltzentrum der Moralischen Aufrüstung in Caux VD auf die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit dem Betriebsmanagement vorbereitet.

Sitzung der MFO-Arbeiterkommission (ohne Unterlagen) mit der MFO-Direktion 1954 (Slg. OVO, Oerlikon)

Die Arbeiterkommission wurde in ein Instrument des Personalmanagements und des Arbeitsfriedens umfunktioniert. Oben am Tisch sitzt der Personalchef Willi Sauser, links Direktor Rudolf Huber, Grosssohn des Fabrikgründers. Die Arbeitervertreter sind ohne schriftliche Unterlagen.
Dies bedeutete eine weitgehende Aushöhlung der Funktionen der Interessenvertretung der Gewerkschaft. In den Gewerkschaftsversammlungen blieben jedoch die organisierten Arbeiter sowohl dem Friedensabkommen wie den Versprechungen der betrieblichen Zusammenarbeit gegenüber skeptisch bis ablehnend.

«Das erste volle Jahr seit Abschluss des ‘sogenannten’ Arbeitsfriedens ist zu Ende und rechtfertigt einen kurzen Rückblick. Das Abkommen hat vielfach enttäuscht zur Hauptsache deshalb, weil die Arbeiterschaft die im Abkommen enthaltenen Möglichkeiten zu wenig oder gar nicht auszunützen, während sich die Direktion die volle Ausnützung sicherte. Die Antreiberei und die Neufestsetzung der Akkordpreise nach unten waren auch im verflossenen Jahre an der Tagesordnung.»

Diese Einschätzung galt auch noch 1945 nach mehr als fünf Jahren «Zusammenarbeit»:
«Jede Verbesserung, die von Seiten der Arbeiterschaft ausgedacht und angestrebt wird, wird lediglich dazu verwendet, die Preise dermassen zu drücken, dass von einem anständigen Arbeiten in vielen Fällen nicht mehr die Rede sein kann. Das steht im Widerspruch zu den seinerzeit geführten Aussprachen über die Broschüre «Handbuch der Steel Worker», wie das Lohnniveau durch Mehrleistung gehoben werden kann.»
Am Grundsatz, dass ein Mehrverdienst nur durch überdurchschnittliche Arbeitsintensivierung möglich sei, hielt das Betriebsmanagement eisern fest. Dies war auch noch 1949 die Einschätzung der Gewerkschafter: «Ein grosser Prozentsatz kommt wohl auf einen rechten Lohn aber dies nur mit Streit und übermässigem Arbeitstempo».
Bereits Ende des Weltkrieges hielt der leitende SMUV-Sekretär der Sektion Oerlikon, Robert Meyer, die Verdienste der Arbeitsfriedenspolitik für die Zusammenarbeit mit dem Betriebsmanagement fest:
«Die Arbeiterschaft hat sich disziplinarisch den Anordnungen der Regierung und aber auch den Wünschen der Verbandsleitung gefügt. Eine jahrelange gewerkschaftliche Erziehung hat in all den Kriegsjahren reiche Früchte getragen und es wird auch einmal eine Aufgabe der Geschichte sein, das festzuhalten.»

Robert Meyer, SMUV-Sekretär in Oerlikon 1940 – 1955 (Bestand SMUV, Sozialarchiv Zürich)


Gewerkschaftliche und betriebliche «Erziehung» der Arbeiter bewirkten zweifelsohne eine grundlegende Veränderung der mentalen Disposition der MFO-Arbeiter, welche die Identifikation mit der MFO stärkten und langfristig die Stellung der Facharbeiter nicht nur schwächte. Ende 40er Jahre wurde das viel gescholtene betriebseigene Akkordsystem verlassen und auf REFA-Grundlagen umgestellt, auf deren Basis 1955 dann der Zeitakkord (Vorgabe von Leistungsgrössen unabhängig vom Lohnansatz) eingeführt wurde. Auf dieser Grundlage sprang die SMUV-Zentrale auf die Produktivitäts-Bewegung der 50er Jahre auf und präsentierte eine eigene «Konzeption zum Problem der Produktivitätssteigerung», welche erlauben sollte, auf die Arbeitsplatzbewertung als Grundlage des Lohnansatzes Einfluss zu nehmen. Die SMUV-Führung erhoffte sich damit die Produktionsweise in den Werkstätten mitgestalten zu können, was sich jedoch als Illusion erwies.


In Oerlikon sollte es überraschenderweise 1955 noch zu einem Showdown eines Lohnkonfliktes nach den Regeln des Friedensabkommens kommen. Die Forderung einer allgemeinen Lohnerhöhung der Arbeiterkommission führte bis zur höchsten Eskalationsstufe unter dem Regime des Friedensabkommens, einem Entscheid durch eine paritätisch zusammengesetzte Schlichtungsstelle. Die Arbeiterkommission der MFO forderte eine allgemeine Lohnerhöhung für die Ungelernten von 5% und von 6% für die Gelernten, was einer Forderung von 830 000 Franken an die Direktion der MFO gleichkam.
Die Verhandlungen fanden im Umfeld von anderen wirtschaftspolitischen Themen statt: Arbeitszeitverkürzung, Teuerungsausgleich, gute Auftragslage und günstige Konjunkturprognose. Der SMUV führte auch die gute Ertragslage der MFO ins Feld, ohne jedoch über die genaue finanzielle Lage der MFO im Bilde zu sein. Geltend gemacht wurde auch, dass die Metall- und Maschinenindustrie nicht voll von der Produktivitätssteigerung der letzten Jahre profitiert habe.
Der ASM (Arbeitgeberverband schweizerischer Maschinen- und Metall-Industrieller) führte ins Feld, dass die Einführung des Zeitakkordes Mehrkosten verursachen werde, für die Arbeiter zu höheren Löhnen führen werde; den zu erwartenden Produktivitätsgewinn der MFO verschwieg er aber.
Das Schiedsgericht billigte den MFO-Arbeitern nur eine Summe von 400 000 Franken zu, was nicht einmal die Hälfte der ursprünglichen Forderung war. Die organisierten MFO-Arbeiter mussten sich mit diesem Entscheid abfinden und akzeptierten auch das Argument, mit dem Zeitakkord mehr zu verdienen, stellten aber den Nutzen des Friedensabkommens in Frage. Auch beim lokalen SMUV-Sekretär fanden sie kein Gehör, der auf die geringen Streikerfolge anderer Verbände verweis. Geschweige dann bei der SMUV-Zentrale in Bern.

ASM-Präsident Hans Schindler (links), SMUV-Präsident Konrad Ilg und MFO-VR-Präsident Eduard von Goumoens am Jubiläums-Bankett der MFO 1951 (SMUV Bestand, Sozialarchiv Zürich)

Auch der ASM argumentierte, dass der SMUV eine Einigung auf Firmenebene verhindere, was nicht dem Geist des Friedensabkommens entspreche. Dieser Meinung war auch der SMUV-Sekretär Robert Meyer, der vor der Arbeiterkommission ausführte, es wäre ihm «peinlich, wenn er kurz vor seinem Wegzug von Oerlikon mit der MFO noch vor die Verbände gehen müsste und dazu noch seinem Nachfolger eine solche unangenehme Situation hinterlassen müsste». Auch dem Verbandspräsidenten des SMUV, Ernst Wüthrich, war es «unangenehm» gegen Hans Schindler, der auch ASM-Präsident war, anzutreten.
Die MFO-Arbeiter mussten sich einmal mehr damit abfinden, nur durch sehr harte Arbeitsbedingen in ihrem Verdienst weiterzukommen. Die MFO, die in Wirklichkeit finanziell stagnierte, wollte von «Ehrlichkeit, Selbstlosigkeit und dienender Nächstenliebe» nicht mehr viel wissen und den SMUV-Kadern war die Reputation des Verbandes beim ASM wichtiger als das Lohnniveau bei der MFO.


Für die Zitate S. 1 – 8 siehe:
Rudolf Jaun: Management und Arbeiterschaft. Verwissenschaftlichung, Amerikanisierung und Rationalisierung der Arbeitsverhältnisse in der Schweiz 1873 – 1959, Zürich 1986, S. 285 – 371.


Für die Zitate S. 9 -10:
Schmitz, Michael: Die machtpolitische Logik des „Arbeitsfriedens“: zum strategischen Verhalten der SMUV-Führung 1917-1963, Lizentiatsarbeit Universität Zürich, Ms. 2007, S. 79 – 117.

Die MFO unter der Leitung von Hans Schindler 1935-1957

Matthias Wiesmann

Niemand in der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) habe Geschäftssinn, schrieb Hans Schindler Ende 1956 angesichts weiterer Verlustzahlen in sein Tagebuch. Es gebe Ingenieure, Erfinder, Produktionsleute, Verkäufer, aber keine Geschäftsleute. Fast verzweifelt frage er deshalb seine Geschäftsleitungskollegen: „Wer kann uns das Verdienen beibringen?“

Diesen einmaligen Einblick in die oberste Führungsetage der MFO verdanken wir den Tagebüchern von Hans Schindlern, denen er minutiös jeden Tag seine Gedanken und seine Erlebnisse anvertraut hatte. Die Aufzeichnungen beginnen 1945 anlässlich einer ziemlich abenteuerlichen Mission in China. Schindler wollte als Leiter einer kleinen Wirtschaftsdelegation den Boden für die wirtschaftliche Zusammenarbeit bereiten. Es war eine Reise um die halbe Welt, und China befand sich nach wie vor im Krieg mit Japan. Hans Schindler war da bereits seit 10 Jahren Chef der MFO und eine führende Figur der Schweizer Wirtschaftselite. Aus gutem Haus, promovierter ETH-Absolvent, in diversen Verwaltungsräten engagiert, später Arbeitgeberpräsident der Metall- und Maschinenindustrie, FDP-Politiker im Zürcher Kantonsrat, Offizier, sechsfacher Familienvater mit repräsentativem Wohnsitz.

Mit 39 Jahren wurde er 1935 zum Direktionspräsidenten ernannt, nachdem der Verwaltungsrat seinen greisen und immer unflexibleren Vater Dietrich Schindler-Huber von der Spitze des Unternehmens hatte entfernen müssen Am Schluss hatte der Vater sich gegenüber seinen Kollegen in der Unternehmensführung wie ein Despot aufgeführt, sich nur noch an die Macht geklammert und sämtliche Neuerungen strikte abgelehnt. Sein Motto in den Krisenjahren lautete: sparen, sparen, sparen.

Dietrich Schindler und sein Sohn Hans Schindler 1921

Hans Schindlers Stellung als neuer Chef war aber gar noch nicht richtig definiert, es bestanden keine klaren Entscheidungsstrukturen, nachdem sein Vater quasi als Alleinherrscher gewirkt hatte. Es mussten zuerst eine neue Führungsstruktur und fehlende Managementfunktionen aufgebaut werden, wie etwa für ein Kostenrechnungs- und Budgetierungssystem, Marktforschung oder Personalangelegenheiten. Bei Letzterem kam sein Cousin Rudolf Huber zum Einsatz, der zuvor am MIT in Boston Einblicke in die amerikanische Unternehmenswelt gewonnen hatte. Der wenig selbstbewusste und noch eher unerfahrene Hans Schindler stützte sich dabei auf den langjährigen und sehr gewieften Verkaufsdirektor namens Hirt ab, der zum starken Mann im Unternehmen wurde. Er kannte die MFO in- und auswendig und wusste, wie man Geschäfte macht, allerdings stand er Neuerungen mit zunehmendem Alter immer skeptischer gegenüber, was die Lage zwar stabilisierte, aber den Aufbruch in eine neue Ära erneut verzögerte. Schindler schrieb in seinen Memoiren zu dieser Phase: „Von 1936 bis 1949 liess ich Hirt de facto, allerdings nicht de jure, als spiritus rector walten“.

Zugute kam dem Gespann Schindler/Hirt eine anziehende Kriegs- und Nachkriegskonjunktur und Elektrifizierungsoffensiven im Inland, die manche Mängel noch übertünchten. Zudem war der Ruf der MFO in technischer Hinsicht aufgrund der gloriosen Vergangenheit als Pionierfirma immer noch hervorragend.

Sorge bereite Hans Schindler aber die geringe Ertragskraft der MFO, insbesondere
im Vergleich zum Dauerrivalen BBC. „Ob es darin liegt, dass wir viel zu sehr auf abwegige Spezialitäten eingestellt sind als auf den Absatz vorhandener Produkte?“, fragte sich Hans Schindler. Es kristallisierte sich auf jeden Fall heraus, dass die Fakturensumme pro Beschäftigten bei der BBC viel höher war. Ebenso war die Fertigung bei der Konkurrenz stärker ausgelastet, da sie in der Regel die Werkzeugmaschinen zweischichtig, die MFO nur einschichtig betrieb. Schindler hatte weiter bemerkt, dass die BBC gute Geschäfte mit fertiggestellten Produkten machte, während die MFO gerne an halb fertigen Sachen pröbelte. Man wolle gleichzeitig auf zu vielen Gebieten führend sein.

Mit rund 600 Produkten war die MFO ein Gemischtwarenladen, ohne dass es einen Blockbuster gegeben hätte, der in grossen Stückzahlen bei ausgereifter Fertigung hohe Renditen gebracht hätte. Die Einzelanfertigungen nach Kundenwunsch brachten hohe Kosten mit sich und immer längere Lieferfristen, die häufig nicht einmal eingehalten werden konnten. Immer wieder wurde eine Sortimentsreduktion ins Auge gefasst, aber die Diskussionen endeten meist, so notierte es Schindler, in einem „grössen Geschnörre“. Die radikalen Schritte blieben aus. Auch Innovationen waren kaum noch zu verzeichnen. Einzig mit Gyrofahrzeuge, deren Antrieb mittels Schwungrads statt Batterien funktionierte, erregte man weltweit Aufmerksamkeit, der Markterfolg blieb jedoch aus. Und einmal mehr liefen die Kosten aufgrund von Entwicklungsfehlschlägen und später aufgrund von Defekten, die noch unter Garantie liefen, aus dem Ruder.

Das Unternehmen war auch kaum internationalisiert. Es bestand seit 1919 lediglich ein weiteres Werk in Ornans (Frankreich). Gerade bei Aufträgen der öffentlichen Hand war dies fatal, da die Regierungen gerne die Wertschöpfung im eigenen Land beliessen, sprich: die Anlagen vor Ort produziert werden sollten. In den wichtigsten Absatzgebieten betrieb die MFO immerhin Verkaufsbüros oder kleinere Werkstätten. Zudem gab es zum Beispiel mit Ansaldo in Genua gewisse Vereinbarungen zur Produktion in Lizenz, was aber kaum Gewinne einbrachte.

Schindler versuchte deshalb ab 1950 ziemlich wagemutig, ein Zweigwerk in den USA zu etablieren. Die Tochtergesellschaft Pacific Oerlikon Company in Tacoma, in der Nähe von Seattle, sollte v.a. Hochspannungs- und Mittelspannungsschalter produzieren. Trotz unzähliger Reisen, die im Tagebuch einen grossen Platz einnehmen, scheiterte er auch damit. Einer der Gründe: Er wollte den Amerikanern Technik auf höchstem Niveau mit entsprechendem Verkaufspreis bieten, während in den USA Anlagen gefragt waren, die solide liefen und relativ günstig waren. Und resümiert im Tagebuch: „Tacoma ist gewissermassen ein abgekürztes und extremes Beispiel dafür, wie es der MFO gehen wird, wenn sie weiterhin über ihre Leistungen eingebildet ist und den Markt nicht respektiert.“ Letztlich vernichtete das USA-Abenteuer sehr viel Geld und trug, zusammen mit den Problemen im Stammwerk in Oerlikon, dazu bei, dass die Verluste nur noch mit dem Verkauf von Wertschriften aus dem Finanzvermögen ausgeglichen werden konnten.

Wenig Bewegung gab es auch in einer möglichen Zusammenarbeit mit Escher Wyss. Es war im Prinzip klar, dass die beiden thermischen Abteilungen (Gasturbinen, Dampfturbinen, Turbomaschinen) zusammengelegt werden müssten, um auf dem internationalen Markt zu reüssieren. Doch man konnte sich partout nicht einigen, wie die Verschmelzung organisatorisch aussehen könnte. Weder in Zürich West noch in Zürich Nord wollte man an Einfluss verlieren. Erst 1959 spannte man endlich zusammen. Aber da war es zu spät, um am Markt noch eine wichtige Rolle zu spielen.

Hans Schindler bemühte sich als Unternehmenschef um eine menschliche Unternehmensführung, um sich gegenüber seinem patriarchischen Vater, unter dem er extrem gelitten hatte, abzugrenzen. Dabei fiel er aber immer mehr in die Rolle eines Mediators, der die Konflikte v.a. in der Führungsspitze mit Gesprächen zu lösen versuchte, statt konsequent durchzugreifen, wie er im Tagebuch selbstkritisch anmerkte: „Ich liess die Leute machen, und sie bildeten eine Machtsphäre um sich herum zum Schaden des Ganzen. Die Leute wie Brunner und Puppikofer und Steinmann sind gar nicht reif zur Selbständigkeit und zur freien Zusammenarbeit. Man muss sie führen und zwingen.“

Direktion der MFO 1953 von links nach rechts: Henri Puppikofer, Jörg Steinmann, F.E.Hirt, Rudolf Huber-Rübel, Hans Schindler, Eduard von Goumoens (VR-Präsident), Jakob Brunner

Auch bei anderen harten Entscheiden zögerte er, so dass das Unternehmen immer weiter in die Krise schlitterte, ohne dass er das Steuer herumreissen konnte. Als wohl schlimmstes Handicap erwies sich sein fehlendes Gespür für Menschen. Interessanterweise war es seine Sekretärin, die ihn eine Zeitlang die Augen öffnete dafür, was die Menschen im Betrieb bewegte respektive wie es um ihre Beziehungen untereinander stand.

Ab 1954 versuchte er es mit einer Doppelspitze zusammen mit seinem Cousin Rudolf Huber, einem weiteren Enkel des MFO-Gründers Emil Huber-Werdmüller. Schindler wollte sich v.a. um die Beziehungen der Firma gegen aussen kümmern, während Huber als Chef den Betrieb führen sollte, als „Feldweibel höherer Ordnung“, wie Schindler einmal im Tagebuch schrieb. Doch auch die Co-Geschäftsleitung brachte keine Besserung. Sie waren zu fest auch mit innerfamiliären Befindlichkeiten beschäftigt und scheuten wichtige Diskussionen und Auseinandersetzunge

Die Ehepaare Hans und Ilda Schindler sowie Rudolf und Bausi Huber-Rübel und links Max Huber (VR Präsident) am MFO-Landitag 1939

Ist die operationelle Leitung zu schwach, wäre der Verwaltungsrat gefragt. Doch die starken Kräfte waren Max Huber, der sich als Familienmitglied auf die moderierende Rolle des väterlichen Beraters beschränkte, und Eduard von Goumoens, der durchaus Kritik äusserte, aber bereits relativ alt war und von seiner Residenz in Thun aus wenig Einfluss nehmen konnte und wollte. Dies änderte sich 1954 mit Georg Heberlein, Chef des Wattwiler Textilunternehmens Heberlein als neuer VR-Präsident. Er scheute sich nicht durchzugreifen. Zuerst setzte er mit Franz Luterbacher eine dritte Person in die immer mehr als „Familienrat“ verunglimpfte Geschäftsleitung.

Letztlich zog 1957 der verjüngte Verwaltungsrat, wie schon bei seinem Vater, welch bittere Ironie, die Notbremse und entzog Schindler die operative Führung. Wie es damals üblich war, wurde dieser Bruch übertüncht, um die Krise der Firma gegen aussen nicht sichtbar zu machen und Schindlers Ruf nicht zu schädigen. Er blieb Vizepräsident des Verwaltungsrats und gehörte neu dem permanenten VR-Ausschuss an. Aber viel zu sagen hatte er nicht mehr. Auch sein Amt als Arbeitgeberpräsident der Metall- und Maschinenindustrie behielt er bei. Er war u.a. dafür zuständig, mit den Gewerkschaftsführern die sogenannten Friedensabkommen auszuhandeln bzw. den Vertrag von 1937 alle fünf Jahre zu verlängern. Dank einer grossen persönlichen Verbundenheit mit dem obersten Gewerkschaftsführer und Nationalrat Konrad Ilg und seinen Nachfolgern kam man meist relativ rasch ans Ziel, ohne grössere Verwerfungen. Hier kamen auch die Stärken von Hans Schindler wohl am besten zur Geltung: seine umfassende Sicht auf wirtschaftliche und soziale Zusammenhänge, seine Fähigkeit, auf die Argumente der Gegenseite eingehen und eine vertrauensvolle Atmosphäre schaffen zu können sowie sein Streben nach Ausgleich und Gerechtigkeit.

Die genaue Auseinandersetzung mit den Leitungspersonen, gerade in einem familiengeführten Unternehmen, bringt häufig eine zusätzliche Dimension in die Erforschung einer Firma und ihrer Geschichte. Hier erkennen wir ein gewisses Drama im Menschen Hans Schindler, der für diese Aufgabe nicht der richtige Mann war, aber auch in der familiären Konstellation, welche die Situation nochmals erschwerte. Selbstverständlich darf man die Aussagen einer wichtigen Leitungsperson in seinem Tagebuch nicht überbewerten, aber es sind Aspekte, die in eine Firmengeschichte hineingehören und gewisse Entwicklungen eines Unternehmens erklären können, sowohl in positiver wie in negativer Hinsicht.

Im Tagebuch von Hans Schindler ist der entscheidende Eintrag zur schleppenden Entwicklung der MFO am 5. Juli 1957 zu finden, als er notierte, an was es ihm laut Berater und langjährigem Weggefährten Arnold Muggli am meisten fehlt: „Unternehmerinstinkt“.


Quellen:

Tagebücher Hans Schindler, 1945-1957 (Schweizerisches Wirtschaftsarchiv, PA 582)

Schindler, Hans: Überprüfungen. Als Kind und Jugendlicher anfangs des Jahrhunderts im Industriellen-Milieu Zürichs und spätere Erlebnisse, Zürich 1970. (ZB Zürich, FP 31520)

Literatur:

Wiesmann, Matthias: Zauderer mit Charme. Hans Schindler und die Zwänge einer Zürcher Industriellenfamilie, Baden 2020.

Die MFO im 20. Jahrhundert: Krise, Stabilisierung und Verkauf an die BBC 1945 – 1967


Peter Ritschard

Der unmittelbare Start in die Nachkriegszeit verlief zum Erstaunen der MFO-Geschäftsleitung nicht schlecht. Der Bestellungseingang nahm zu und es konnte einiges ins kriegsversehrte Ausland geliefert werden, so zum Beispiel 64 dieselelektrische Traktoren nach Frankreich, die je zur Hälfte in Ornans und Oerlikon gefertigt wurden. Im Inland herrschte zu dieser Zeit noch eine korporatistische Wirtschaftsform. Um «erspriessliche Verhältnisse» bei Motoren, Generatoren und Transformatoren herzustellen, sprachen sich BBC, MFO und die Ateliers de Sécheron ab und meldeten ihre Lieferungen an eine Treuhandfirma. Diese sollte dann periodisch prüfen, ob die Vereinbarungen der Marktaufteilung eingehalten wurden.

Doch es standen dunkle Wolken über der MFO in Oerlikon. Der Miteigentümer und langjährige vorherige Präsident des Verwaltungsrates Prof. Max Huber drückte es in einer Verwaltungsratssitzung einmal so aus: «Stehen die stets wiederholenden grossen Investitionen in einem vernünftigen Verhältnis zu dem, was das Unternehmen produziert und gewinnt?» Weiter meinte er an einer anderen Verwaltungsratssitzung: «Die vorgebrachten Zahlen geben einen ungünstigen Eindruck von der MFO und man sich nach deren Kenntnisnahme eigentlich in «besinnlichen Betrachtungen» ergehen müsste. Es stellt sich die Frage, ob die MFO die richtige Grösse habe und wo die Mängel bei der Organisation wirklich lägen. Warum die technische Initiative bei der BBC grösser sei als bei der MFO?»

Die MFO war 1949/50 mit 40 Mio. Franken Umsatz deutlich kleiner als die BBC mit 190 Mio. Franken. In der Schweiz war die MFO nur ein Drittel schwächer als die BBC, die mit vielen Verkaufsgesellschaften und der deutschen BBC Mannheim einen grossen Auslandumsatz hatte. Der neue Verkaufsdirektor Jörg Steinmann, der neben einem Abschluss als Ingenieur ETH auch in einer amerikanischen Business School (Amos Tuck School of Business Administration, New Hampshire) ausgebildet worden war, stellte 1950 dem Verwaltungsrat einen Plan vor, der die Probleme der MFO lösen sollte.

Darstellung der Produkte der MFO in der Personalzeitschrift „Der Gleichrichter“, im Jahre 1949, welche die Breite der Produktionspalette zeigt

Er schlug vor, das zu grosse Produktesortiment von etwa 300 Grundprodukten (ohne verschiedene Grössen und Ausführungen) zu verschlanken. Zur Kompensation von eingestellten Geschäften wollte er die «Thermische Abteilung» (Dampf- und Gasturbinen) massiv ausbauen. Der Gesamtumsatz sollte um 30 % steigen und der Export um 70 % verstärkt werden. Die Gestehungskosten müssten allerdings tief gehalten werden. Zu dieser Zeit war der Franken an das Gold gebunden und zum amerikanischen Dollarraum hatte die Schweiz eine sehr vorteilhafte gute Relation für den Export. Allerdings galten auch in vielen Ländern Importrestriktionen, so dass z.B. nach Grossbritannien keine Elektromotoren verkauft werden konnten und in den Vereinigten Staaten ein sehr hoher Zoll auf gelieferte Produkte bezahlt werden musste. Dem überalterten Verwaltungsrat war das Risiko des kühnen Plans von Steinmann ohnehin zu gross.

Im Jahr 1951 gab die MFO zum 75-Jahre Jubiläum eine Broschüre heraus, wo sie sich als auf einem Höhepunkt stehend beschreibt – tatsächlich schlummerten aber sehr ernsthafte Probleme unter der Oberfläche. Die MFO nahm viele Aufträge mit zu tiefen Preisen an. Dies beruhte auf der Hoffnung, dass man die Marktanteile so vergrössern und in Zukunft mehr vom Markt abschöpfen könnte. Dies traf jedoch weder im Inland noch im Ausland zu. Die MFO hatte als Folge der Sparmassnahmen in der Krise der dreissiger Jahre und der Kriegszeit den technischen Anschluss in der Elektrobranche verpasst. So musste der Transformatorenbau ab 1957 mit einer Lizenz von «English Electric» produzieren, weil die MFO die Entwicklung bei der Isolation und Konstruktion verpasst hatte. Ebenfalls aus Spargründen hatte die MFO auch keine «Forschungs- und Entwicklungsabteilung» aufgebaut, sondern erst bei einem Auftragseingang erfolgte in der Konstruktionsabteilung ein «learning by doing».

Wegen des ausgedehnten Produktionsprogramms standen für die Entwicklung eines neuen Produkts nur sehr wenige Ingenieure zur Verfügung. Die MFO hatte aus den «Goldenen Jahren» von 1910 bis nach 1920 eine grosse Wertschriftenreserve, die zu Werten der 1950-Jahre etwa 200 Mio. Franken betrug. Es reute die Familienaktionäre das Firmenvermögen weder für Forschung und Entwicklung einzusetzen noch den veralteten, unrationellen Werkzeugmaschinenpark umfassend zu modernisieren. Dieser «Plan» der Familienaktionäre war insofern fehlerhaft, weil sie das Geld zum Schluss für die Deckung der Betriebsverluste ausgeben mussten. Gerade auch in ihrer Kernkompetenz elektrische Grossmaschinen verlor die MFO den Anschluss an die neuen technischen Entwicklungen.

Grosse Verluste erlitt die MFO bei einigen Generatoren und Transformatoren, die dem Dauerbetrieb nicht standhielten. Bei den Generatoren war die Ursache eine aus drei Teilen zusammengebaute Welle des Generators, die zu Bruch ging. Während des Zweiten Weltkriegs konnten einteilige Wellen nicht mehr beschafft werden und somit baute man sie aus drei Stücken zusammen. Fachleute von Sulzer beurteilten die MFO-Konstruktion als fehlerhaft und unfachmännisch. Obwohl eine Generator-Welle schon im Probebetrieb in einer Schleudergrube der MFO 1949 brach, verwendete die Firma die fehlerhafte Konstruktion mehrfach weiter mit finanziellen Folgen im Millionenbereich. Die MFO hatte zu dieser Zeit einen unfähigen Konstruktionsdirektor, den sie aber nicht entlassen wollte, weil sie nicht zeigen wollte, dass man in einer Krise steckte. Die Garantiearbeiten wegen fehlerhafter Produkte waren nach Meinung des Verwaltungsrates viel zu hoch.

Generator


Obwohl die MFO mit der nach ihrem Programm egalitären «Caux-Bewegung» (Moralische Aufrüstung) sympathisierte, war die die Fabrik in Oerlikon streng hierarchisch aufgebaut. Somit fehlte das Mitdenken der Arbeiter und Angestellten und des mittleren Kaders im grösseren Zusammenhang. Die MFO-Mitarbeiter lösten die von den Vorgesetzten gestellten Aufgaben zwar anerkannt gut, aber der internationale Wettbewerb hätte mehr vorausschauendes Handeln der Belegschaft und entsprechende Freiheiten erfordert. Da sich die Familien-Eigentümer in Oerlikon in verschiedenen Funktionen betätigten, sahen sie es als nicht notwendig an, ein vollbestücktes Direktorium in der Firma arbeiten zu lassen. So wurden die auftretenden Probleme in Produktion, Verkauf und Entwicklung der Maschinenfabrik zu wenig professionell und zu wenig systematisch angegangen. Von den neu eintretenden Manager-Kapitalisten wurden diese Defizite ab Mitte der 1950-er Jahre durch umfangreiche Fortbildungsprogramme aufgearbeitet und die Direktion zielgerichtet aufgebaut und ergänzt.

So erlebte die MFO ab Mitte der 1950-er Jahre eine Transformation von einer Familien-Aktiengesellschaft in eine Manager-Aktiengesellschaft. Der Verwaltungsrat mit dem Präsidenten Georg Heberlein war nach grossen Verlusten mit der amerikanischen «Pacific Oerlikon Company», dem misslungenen Geschäft mit Gyrobussen und dem schlechten Geschäftsgang der MFO trotz Hochkonjunktur zum Schluss gekommen, dass Personen ausserhalb der Familien Schindler/Huber die Maschinenfabrik leiten sollten. Mit Franz Luterbacher aus Bern wurde ein Jurist und Finanzfachmann engagiert, der zusammen mit den neuen Direktoren und den ETH-Ingenieuren Hans Rudolf Hofer und Werner Lindecker die Firma auf eine neue Basis stellte. Die Idee war, nur noch Produkte herzustellen, die am Schluss einen finanziellen Gewinn brachten. Die in weiten Teilen veraltete Fabrik bei Produkten, Werkzeugmaschinen und Gebäuden musste auf Vordermann gebracht werden. Luterbacher war allerdings Finanz- und Verwaltungsfachmann und wenig technikbegeistert, sodass in Bezug auf neue innovative Produkte von ihm kaum Impulse ausgingen. Auch in seiner späteren Karriere als Verwaltungsratspräsident der BBC zeigte er sich als Führungsperson zu wenig souverän.

Georg Heberlein (1902-1984), VR_Präsident MFO 1955 – 1967 (Autografensammlung Bibliothek am Guisanplatz)
Franz Luterbach, seit 1955 in der Geschäftsleitung der MFO,
1964 – 1967 Direktionspräsident; VR-Delegierter 1967- 1969
und 1970 – 1985 VR-Präsident der BBC
Hans Rudolf Hofer, Produktionsdirektor der MFO 1955 -1964,
1965 – 1967 Planungs- und Personaldirektor
Werner Lindecker, Technischer Direktor der MFO 1957 – 1964


Von 1957 bis zur Fusion mit BBC 1967 wurde die MFO von den neuen Managern erfolgreich restrukturiert. Die notorischen Probleme mit nicht eingehaltenen Terminen der MFO wurden durch konsequentes Anwenden der industriellen Produktionsregeln unter Leitung von Direktor Hans Rudolf Hofer gelöst. Täglich waren in den 1950-er Jahren in der MFO mit über 4’000 Mitarbeitern 80’000 Werkstücke mit 300’000 Arbeitsoperationen in Bearbeitung. Pro Woche wurden 15’000 bis 20’000 Arbeitskarten (Lochkarten) für die Produktion erstellt. Von den neuen Manager-Kapitalisten wurden Team-Bildung und Mitdenken verlangt und gefördert. In der grundsätzlich horizontalen Organisation der MFO wurde der ehemalige Jagdflieger Werner Lindecker als Trouble-Shooter eingesetzt. Er löste zahlreiche seit Jahrzehnten bestehende Produktionsprobleme bei den Bahnen, Turbinen und der Apparatefabrik, welche aus einem Mangel an Durchblick und Energie im zähen Teig der MFO nie angegangen worden waren.

Die betriebliche Situation der MFO konnte so nach dem Tiefpunkt 1956/57 markant verbessert werden. Doch MFO-Direktionspräsident Franz Luterbacher gab zu bedenken: «Die Situation auf dem Weltmarkt hat sich besonders in den letzten Jahren stark verändert. Der gewaltige industrielle Wiederaufbau in der Nachkriegszeit und die allgemeine Expansion führte in verschiedenen Bereichen unserer konventionellen Erzeugnisse zu Überkapazitäten und als Folge davon zu starkem Preisdruck. Ferner stellen wir fest, dass zahlreiche Industrieländer die staatlichen Massnahmen zur Förderung ihrer Exportindustrie energisch ausbauen … Es ist undenkbar, dass eine Firma mittlerer Grösse wie die MFO solche Entwicklungen (z.B. Atomkraftwerke, Magnete für Teilchenbeschleuniger) allein an die Hand nehmen könnte, handelt es sich doch hier um Aufgaben, die auch die Kräfte von sehr viel grösseren Unternehmungen oft übersteigen dürften.» In diesem Zusammenhang ist nicht zu vergessen, dass der Schweizer Markt weitgehend gesättigt war. Die Kraftwerke waren grösstenteils gebaut, wobei fast die Hälfte über eine elektrische Ausrüstung der MFO verfügte.

Diese Gründe dürften den Direktionspräsidenten Luterbacher bewogen haben, eine längerfristige Lösung mit einem Partner zu suchen. 1965 fanden Gespräche mit der BBC statt. Die beiden Maschinenfabriken machten gründliche Studien zur möglichen Kooperation. Die Produktionsbereiche überschnitten sich weitgehend. Es bestand die Hoffnung, dass die fixen Kosten für ein Produkt nach dem Zusammenschluss nur noch einmal anfallen. Es kam 1965 aber noch nicht zur Zusammenarbeit, weil in der MFO die internen Widerstände der Familienaktionäre zu gross waren. Zwei Jahre später verhandelte Franz Luterbacher im Geheimen mit der BBC über einen Zusammenschluss. Die Familienaktionäre waren in diese Gespräche nicht mehr einbezogen. Die Familien Schindler/Huber dürften zusammen noch etwa knapp 10 % der vinkulierten Namenaktien gehalten haben. Vom Alleingang Luterbachers überrascht, stimmten sie 1967 der Zusammenarbeit zu. Das Machtzentrum lag jetzt bei den Manager-Kapitalisten und dem immer stärker angelsächsisch geprägten Finanzmarkt. Für die BBC hatte die Fusion nur Vorteile. Der Break-even-Point in der MFO war offenbar wieder überschritten worden und der Gewinn des Oerlikoner Unternehmens war nach den Berechnungen der BBC so hoch, dass sie die Übernahme mit dem Ertrag aus der MFO finanzieren konnte. Die Badener kamen also quasi «gratis» zur MFO und erhielten darüber hinaus noch eine moderne, neu gebaute grosse Transformatoren-Fabrik sowie Werkzeugmaschinen im Wert von 20 Mio Franken. Die MFO-Aktionäre konnten ihre Aktien in eine Wandelanleihe der BBC umtauschen, welche einen festen Ertrag brachte, der 30 % höher war als die bisherige Dividende der MFO.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erbaute Grosstransformatorenfabrik der MFO


Für die Arbeiter und Angestellten der MFO war die Bekanntgabe der Fusion ein schwarzer Tag. Bisher waren sie darauf getrimmt worden, man müsse als Konkurrent gegen die BBC ankämpfen. In den folgenden Jahren sahen sie jedoch die Vorteile des Zusammengehens. Im Oerlikoner Werk konnte man wieder an die Weltspitze der Elektrotechnik gelangen und gute Aufträge mit verbesserten Produktionsmitteln ausführen. Die BBC hatte zwar die gleichen Probleme auf den internationalen Märkten mit Protektionismus wie die alte MFO, gehörte aber anerkanntermassen zu den elektrotechnisch weltweit führenden Unternehmen. Die MFO hätte früher oder später eine Integration in einen Grosskonzern suchen müssen. Die Freigabe der Wechselkurse 1971 und die später folgende markante Höherbewertung des Schweizerfrankens hätte die innovationsschwache MFO im Mark getroffen. Das legendäre Wertschriftenportefeuille aus der Blütezeit der MFO – seinerzeit mehrheitlich aufgebaut aus staatlichen Aufträgen zur Elektrifizierung der Schweiz – war zur Deckung von Verlusten und geschäftlichen Abenteuern aufgebraucht. In diesem Sinne war die Fusion BBC/MFO im Jahr 1967 für das Oerlikoner Unternehmen ein Glücksfall.

Literatur:

Peter Ritschard, Das Ende einer Legende. Die Maschinenfabrik Oerlikon 1945 – 1967erscheint im Frühling 2025 bei HIER+JETZT.

MFO: Sonderfall oder typisch für die Schweizer Maschinenindustrie?

Adrian Knoepfli

Ist ein Unternehmen ein Sonderfall, oder entsprach es dem «Courant normal»: Diese Frage stellt sich immer, wenn man die Entwicklung einzelner Firmen nicht isoliert, sondern fundiert beurteilen will. Die Tagung des Ortsgeschichtlichen Vereins Oerlikon (OVO) be-fasste sich mit verschiedenen Aspekten der Entwicklung der Maschinenfabrik Oerlikon (MFO) im 20. Jahrhundert.

Vier Referate lieferten an der Tagung eine Fülle von Informationen zur Geschichte der Maschinenfabrik Oerlikon: Kilian Elsasser beleuchtete den Aufstieg der MFO mit ihren Erfolgen bei der Bahnelektrifizierung 1890-1924, Rudolf Jaun erläuterte die Entwicklung vom Fabrikherrenregime zum modernen Management (1919-1955), Matthias Wiesmann befasste sich mit dem als «Versager» abgestempelten Hans Schindler (CEO 1935–1955) und Peter Ritschard schilderte den «Abstieg» des Unternehmens bis zur Übernahme durch die Konkurrentin BBC (heute ABB).

Aufstieg und erste Krise

Pioniere gibt es in der Industriegeschichte viele, wobei Pionier ja kein besonders präziser Begriff ist. Die MFO, die in ihren ersten Anfängen Werkzeuge und Maschinen produzierte, gehörte in der zweiten industriellen Revolution eindeutig zu den Pionieren der Elektrifizierung. Andere Firmen wie zum Beispiel Sulzer in Winterthur oder Georg Fischer (GF) in Schaffhausen waren da skeptischer, zurückhaltender. Eine klare Konkurrentin der MFO war hingegen die BBC, die 1891 von den beiden abgesprungenen MFO-Ingenieuren Brown und Boveri gegründet wurde. Glichen viele Firmen im 19. Jahrhundert noch einem Gemischtwarenladen, der (fast) alles produzierte, setzte um 1900 innerhalb der Maschinen- und Metallindustrie eine Spezialisierung ein. So übernahm die MFO die Elektroabteilung von Rieter (Winterthur), sie verzichtete zugunsten von GF auf die Herstellung von Stahlguss, und 1906 wurde die Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon aus dem Unternehmen herausgelöst. An dieser waren zunächst verschiedene Firmen beteiligt. Erst ab 1923 hatte dort Bührle, der als Abgesandter der Magdeburger Werkzeug-Maschinenfabrik in die Schweiz kam, das Sagen. Trotz dieser Bereinigungen blieb die Produktepalette der MFO aber breit.

In der Krise von 1901/1902 musste die MFO saniert werden. Dabei schied der Gross-aktionär und langjährige Miteigentümer Friedrich Wegmann-Schoch, Erfinder der Porzellanwalzenstühle, aus dem Verwaltungsrat, sein Sohn Fritz Wegmann aus Ver-waltungsrat und Direktion aus. Diese Ausbootung war kein Sonderfall. Vielmehr legten die Banken allgemein eine veränderte Reaktion an den Tag: Hatten sie sich bisher in Krisen aus den Firmen zurückgezogen, so verstärkten sie nun ihr finanzielles Engagement, nahmen im Verwaltungsrat Einsitz und griffen auch ins operative Geschäft ein. Familienmitglieder wurden durch angestellte Manager ersetzt. In der Folge hielt sich die Präsenz der Banken in den Verwaltungsräten der Industrie bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein und bildete einen Bestandteil des berühmten ‘Old-Boys-Network’.

Im Unterschied zu den Wegmanns konnte sich bei der MFO, wo die Banken 1899 eingestiegen waren, die Familie Huber halten: Auf Wegmann jun. folgte in der Direktion Dietrich Schindler-Huber, der Schwiegersohn von MFO-Gründer und -VR-Präsident Peter Emil Huber-Werdmüller. Huber-Werdmüller, dessen erste Gründung in Oerlikon (1863) noch erfolglos gewesen war, gehörte zu den markanten Figuren der Schweizer Industrie, wobei er sowohl lokal, als Bauvorstand der Gemeinde Riesbach, Quartierentwickler und Förderer von Tram und Bahn (Üetliberg), als auch global präsent war. Als Mitgründer der Alusuisse unterhielt er enge Beziehungen zu den Vertretern des Schweizer und internationalen Finanzkapitals. Sein Sohn Emil Huber-Stockar, anfänglich ebenfalls bei der MFO tätig, leitete ab 1912 die Elektrifizierung der SBB.

Reorganisationsversuche, Akkordkonflikte und Wandel zum Managerunternehmen

Dass der Familienvertreter Dietrich Schindler bis 1935 als «Fabrikherr» alter Schule waltete und, wie Rudolf Jaun an der Tagung ausführte, innovative Neuinvestitionen und Erneuerungen des Produktionsapparates verhinderte, trug dazu bei, dass die MFO bei der Betriebsorganisation modernen Entwicklungen eher hinterherhinkte. Die Auseinandersetzungen um neue Akkordsysteme wiederum, die bei der MFO im Zuge der Reorganisationen ab 1940 einsetzten, waren keine Oerliker Besonderheit, und bereits in den 1930er Jahren hatte es in der Metall-, Maschinen- und Textilindustrie Abwehrstreiks gegeben. Besonderes Aufsehen erregte ein tragischer Vorfall beim Textilmaschinen- und Lastwagenhersteller Saurer in Arbon, wo sich ein junger Arbeiter wegen des verhassten Bedaux-Akkordsystems das Leben nahm. Die intensive Förderung der Betriebsgemeinschaft bei der MFO mittels der Ideologie der «Moralischen Aufrüstung» und gestützt auf das Friedensabkommen von 1937 zwischen dem Schweizerischen Metall- und Uhrenarbeiterverband und dem Arbeitgeberverband der Maschinen- und Metallindustrie muss auch vor diesem Hintergrund gesehen werden.

Debakel in den USA

Bei der MFO den Übergang schaffen und Verpasstes nachholen sollte Hans Schindler, der 1935 seinen Vater ablösen musste, und dessen Phase des Wirkens von Weltwirtschaftskrise, Krieg und Hochkonjunktur geprägt war. Er führte unter anderem ein modernes Personalwesen ein und förderte wie erwähnt die Betriebsgemeinschaft. Als Schindler junior die MFO übernahm, verfügte diese mit dem Werk in Ornans (Frankreich), wo seit 1919 Lokomotiven und Transformatoren hergestellt wurden, über eine einzige Produktionsstätte im Ausland. Diese Zurückhaltung war für die Branche nicht untypisch. Auch Georg Fischer, Sulzer und andere gaben wenn möglich der Produktion in der Schweiz den Vorzug und bauten stattdessen auf den ausländischen Märkten Verkaufsorganisationen auf. Fiel der Entscheid zugunsten einer Produktion im Ausland aus, so geschah dies meist wegen der Zollverhältnisse. Oder wegen der Nähe zu den Rohstoffen. So gehörte die Alusuisse, die über enge personelle Beziehungen zur MFO verfügte, zu den früh globalisierten Unternehmen. Schon vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sie sich zu einem internationalen, vertikal integrierten Konzern mit eigenen Bauxitgruben, Tonerdefabriken, Hütten (Elektrolysen), Kraft- und Verarbeitungswerken.
Dass Hans Schindler nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Werk in den USA (Ta-coma) Schiffbruch erlitt, war alles andere als ein Einzelfall. Die Liste der Schweizer Unternehmen, die in den USA scheiterten, ist lang. Zu ihnen gehört auch die Alusuisse, die in den USA spät, aber umso heftiger investierte. Gründe für das Scheitern gab es verschiedene. Nicht unwesentlich war, dass die geschäftlichen Gepflogenheiten in den USA doch recht andere sind, und dass das Einsetzen von Managern mit Schwei-zer Nationalität schnell Abwehrreflexe auslöste.

Eine einzigartige Quelle

Hans Schindler, der am Ende unfreiwillig aus dem Unternehmen ausschied, war sicher eine spezielle Figur, aber er war kein Aussenseiter. Mit Verwaltungsratsmandaten bei der SKA (CS), der Schweizerischen Rückversicherung (Swiss Re), der Rentenanstalt (Swiss Life) und der NZZ sowie als FDP-Kantonsrat und Präsident des Arbeitgeberverbands der schweizerischen Maschinen- & Metall-Industrie (ASM) war er ein typischer Schweizer Industrieller des 20. Jahrhunderts und Vertreter des Old-Boys-Netzwerks, das die Schweizer Wirtschaft bis zur zweiten Globalisierung beherrschte. Wohl ziemlich einmalig ist hingegen die Quelle, auf die sich Matthias Wiesmann bei seiner Biografie stützen konnte: Dass ein CEO Tagebuch führt, darin auch sein Scheitern und die Zwänge, denen er ausgesetzt ist, reflektiert und die Familie das Tagebuch schliesslich zugänglich macht, ist ein absoluter Glücksfall.

Nachfolgeregelungen sind in der Wirtschaft etwas vom Schwierigsten. Wo noch Fa-milienaktionäre das Sagen haben, trifft dies nicht nur auf KMU, sondern auch auf Grosskonzerne zu. Es ist kein Einzelfall, dass Hans Schindler die Führung der MFO «contre coeur» übernehmen musste. Für einen Eklat anderer Art sorgte sein Onkel Martin Schindler bei der Alusuisse, wo er seit der Gründung 1888 administrativer Direktor und seit 1900 CEO war. Als der Verwaltungsrat, mit einem Verwandten Schindlers an der Spitze, 1920 im Zuge der starken Expansion den Alleinherrscher Schindler durch ein dreiköpfiges Direktorium (mit Schindler) ersetzen wollte, verliess dieser das Unternehmen im Zorn. An Familienzusammenkünften habe man danach wirtschaftliche Themen möglichst gemieden, wurde aus der Familie Huber berichtet.

Fremdarbeiter statt Rationalisierung und Unternehmensfusionen

Nach dem Zweiten Weltkrieg half die bald einsetzende Hochkonjunktur strukturelle Probleme verdecken, die sowohl bei der MFO als auch in der Schweizer Industrie allgemein vorhanden waren. Die Schweiz hatte einen guten Start mit einem, im Unterschied zu den kriegsversehrten Ländern, intakten Produktionsapparat. Diese günstigen Voraussetzungen erlaubten eine massive Expansion der Produktion, die man durch den Import von immer mehr Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeitern bewältigte. Anlass zu weitgehenden Restrukturierungen und zur Entwicklung innovativer Produkte und Verfahren gab diese Entwicklung den Industrieunternehmen nicht. Selbständige Forschungsabteilungen wurden nur zögerlich eingerichtet. Dadurch geriet die Schweiz mit der Zeit gegenüber den jetzt moderner eingerichteten Nachbarstaaten, die ihren Konsumbedarf wieder selber decken konnten, ins Hintertreffen. Wirkliche Rationalisierungen erfolgten oft erst, als nicht mehr beliebig ausländische Arbeitskräfte ins Land geholt werden konnten. Die Probleme der MFO und die anschliessende Restrukturierung hat an der Tagung Peter Ritschard aufgezeigt. Die Branche als Ganzes überholte in den 1950er Jahren beschäftigungsmässig das Baugewerbe und blieb bis in die 1980er Jahre wichtigster Arbeitgeber des 2. Sektors. Auch bei der Ölkrise 1973/74 blieb die fällige Strukturbereinigung weitgehend aus. Die Arbeitslosigkeit wurde durch die Entlassung der Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter exportiert.

Hingegen hatte in den 1960er Jahren eine Konzentrationsbewegung eingesetzt, wobei es ab den späten 1950er Jahren – nicht gerade erstmals, aber zunehmend – auch zu Übernahmen durch ausländische Konzerne kam. Sulzer schluckte die benachbarte Schweizerische Lokomotiv- und Maschinenfabrik SLM in Winterthur (1961), Escher Wyss in Zürich (1966/1969), Bell in Kriens und Burckhardt in Basel (1969) und schliesslich die Maschinenfabrik Rüti (1982), die zu den führenden Webmaschinenproduzenten der Welt gehörte und 1969 von GF übernommen worden war. Schindler kaufte die Wagi Schlieren (1960), BBC die MFO (1967) und Sécheron (1969). Die Übernahme der MFO durch ihre stärkere, besser aufgestellte und internationalere Konkurrentin BBC, die in Oerlikon so schmerzlich empfunden wurde, ist klar im Zuge einer allgemeinen Entwicklung zu sehen, an deren Ende die BBC ihrerseits bei ihrer Fusion mit der schwedischen Asea 1988, zur ABB, von dieser faktisch übernommen wurde. In der Strukturkrise der 1990er Jahre trat bei den Übernahmen an die Stelle des Motivs der Diversifizierung das Schlagwort der Kon-zentration aufs Kerngeschäft. Die Börse mit Investoren, die den Shareholder Value über alles stellten (Ebner, Blocher, von Finck u.a.), wurde zum neuen Treiber, Quersubventionierungen innerhalb der Konzerne waren nun verpönt.

Den Bereinigungen mehr oder weniger zum Opfer fiel auch die alte Schweizer Roll-materialindustrie, zu deren stolzen Teilen einst auch die MFO gehörte. 1981 hatten die Schweizer Waggonbauer die Produktion mit einem Spezialisierungsabkommen unter sich aufgeteilt: BBC (inkl. MFO und Sécheron), SLM, SIG und Schindler (inkl. Wagi Schlieren und Flug- und Fahrzeugwerke Altenrhein FFA) stellten nur noch einzelne Komponenten her. Das Ende kam, als die beteiligten Hersteller ihre Produktion zu verkaufen begannen oder stilllegten. 1997 veräusserte Schindler ihren Rollmaterialbereich an die AdTranz, die zuvor von ABB und Daimler-Benz (später Daim-lerChrysler) gebildet worden war. Ein Jahr später übernahm AdTranz zudem die lukrativen Teile der Schweizerischen Lokomotiv- und Maschinenfabrik (SLM) in Winterthur. Das frei gewordene Terrain besetzte die Stadler Rail in Bussnang (TG), die auch davon profitierte, dass sie das komplette Engineering-Team der Alusuisse übernehmen konnte, als deren Käuferin, die kanadische Alcan, am Bereich «Road & Rail» nicht mehr interessiert war. Konkurrenziert wird Stadler heute bei jeder Aus-schreibung vom kanadischen Bombardier-Konzern, der 2000 die AdTranz übernahm und damit Weltmarktleader wurde. Zu Bombardier gehört auch die Rollmaterialfirma Vevey Technologies (früher Ateliers de Constructions Mécaniques de Vevey ACMV).

Was bleibt als (eher unspektakuläres) Fazit: Die MFO war ein typischer, prägender Repräsentant der Schweizer Maschinen- und Metallindustrie, die sich im Laufe der Industrialisierung zur Schweizer Leitindustrie entwickelt und als solche im 20. Jahrhundert die Textilindustrie abgelöst hat. Sie war ein ziemlich normales Unternehmen mit herausragenden Leistungen und starken Positionen auf verschiedenen Märkten, aber auch Fehlern, Schwächen und verpassten Chancen. Typisch für die Branche ist aber nicht nur die MFO, sondern ebenso der Standort Oerlikon mit seiner Monokultur. Eine ähnlich einseitige Wirtschaftsstruktur wiesen auch Winterthur, Schaffhausen, Arbon, Baden und andere Industriezentren auf. Sie bezahlten dies in den 1990er Jahren mit besonders hohen Arbeitsplatzverlusten.