Die MFO im 20. Jahrhundert: Krise, Stabilisierung und Verkauf an die BBC 1945 – 1967


Peter Ritschard

Der unmittelbare Start in die Nachkriegszeit verlief zum Erstaunen der MFO-Geschäftsleitung nicht schlecht. Der Bestellungseingang nahm zu und es konnte einiges ins kriegsversehrte Ausland geliefert werden, so zum Beispiel 64 dieselelektrische Traktoren nach Frankreich, die je zur Hälfte in Ornans und Oerlikon gefertigt wurden. Im Inland herrschte zu dieser Zeit noch eine korporatistische Wirtschaftsform. Um «erspriessliche Verhältnisse» bei Motoren, Generatoren und Transformatoren herzustellen, sprachen sich BBC, MFO und die Ateliers de Sécheron ab und meldeten ihre Lieferungen an eine Treuhandfirma. Diese sollte dann periodisch prüfen, ob die Vereinbarungen der Marktaufteilung eingehalten wurden.

Doch es standen dunkle Wolken über der MFO in Oerlikon. Der Miteigentümer und langjährige vorherige Präsident des Verwaltungsrates Prof. Max Huber drückte es in einer Verwaltungsratssitzung einmal so aus: «Stehen die stets wiederholenden grossen Investitionen in einem vernünftigen Verhältnis zu dem, was das Unternehmen produziert und gewinnt?» Weiter meinte er an einer anderen Verwaltungsratssitzung: «Die vorgebrachten Zahlen geben einen ungünstigen Eindruck von der MFO und man sich nach deren Kenntnisnahme eigentlich in «besinnlichen Betrachtungen» ergehen müsste. Es stellt sich die Frage, ob die MFO die richtige Grösse habe und wo die Mängel bei der Organisation wirklich lägen. Warum die technische Initiative bei der BBC grösser sei als bei der MFO?»

Die MFO war 1949/50 mit 40 Mio. Franken Umsatz deutlich kleiner als die BBC mit 190 Mio. Franken. In der Schweiz war die MFO nur ein Drittel schwächer als die BBC, die mit vielen Verkaufsgesellschaften und der deutschen BBC Mannheim einen grossen Auslandumsatz hatte. Der neue Verkaufsdirektor Jörg Steinmann, der neben einem Abschluss als Ingenieur ETH auch in einer amerikanischen Business School (Amos Tuck School of Business Administration, New Hampshire) ausgebildet worden war, stellte 1950 dem Verwaltungsrat einen Plan vor, der die Probleme der MFO lösen sollte.

Darstellung der Produkte der MFO in der Personalzeitschrift „Der Gleichrichter“, im Jahre 1949, welche die Breite der Produktionspalette zeigt

Er schlug vor, das zu grosse Produktesortiment von etwa 300 Grundprodukten (ohne verschiedene Grössen und Ausführungen) zu verschlanken. Zur Kompensation von eingestellten Geschäften wollte er die «Thermische Abteilung» (Dampf- und Gasturbinen) massiv ausbauen. Der Gesamtumsatz sollte um 30 % steigen und der Export um 70 % verstärkt werden. Die Gestehungskosten müssten allerdings tief gehalten werden. Zu dieser Zeit war der Franken an das Gold gebunden und zum amerikanischen Dollarraum hatte die Schweiz eine sehr vorteilhafte gute Relation für den Export. Allerdings galten auch in vielen Ländern Importrestriktionen, so dass z.B. nach Grossbritannien keine Elektromotoren verkauft werden konnten und in den Vereinigten Staaten ein sehr hoher Zoll auf gelieferte Produkte bezahlt werden musste. Dem überalterten Verwaltungsrat war das Risiko des kühnen Plans von Steinmann ohnehin zu gross.

Im Jahr 1951 gab die MFO zum 75-Jahre Jubiläum eine Broschüre heraus, wo sie sich als auf einem Höhepunkt stehend beschreibt – tatsächlich schlummerten aber sehr ernsthafte Probleme unter der Oberfläche. Die MFO nahm viele Aufträge mit zu tiefen Preisen an. Dies beruhte auf der Hoffnung, dass man die Marktanteile so vergrössern und in Zukunft mehr vom Markt abschöpfen könnte. Dies traf jedoch weder im Inland noch im Ausland zu. Die MFO hatte als Folge der Sparmassnahmen in der Krise der dreissiger Jahre und der Kriegszeit den technischen Anschluss in der Elektrobranche verpasst. So musste der Transformatorenbau ab 1957 mit einer Lizenz von «English Electric» produzieren, weil die MFO die Entwicklung bei der Isolation und Konstruktion verpasst hatte. Ebenfalls aus Spargründen hatte die MFO auch keine «Forschungs- und Entwicklungsabteilung» aufgebaut, sondern erst bei einem Auftragseingang erfolgte in der Konstruktionsabteilung ein «learning by doing».

Wegen des ausgedehnten Produktionsprogramms standen für die Entwicklung eines neuen Produkts nur sehr wenige Ingenieure zur Verfügung. Die MFO hatte aus den «Goldenen Jahren» von 1910 bis nach 1920 eine grosse Wertschriftenreserve, die zu Werten der 1950-Jahre etwa 200 Mio. Franken betrug. Es reute die Familienaktionäre das Firmenvermögen weder für Forschung und Entwicklung einzusetzen noch den veralteten, unrationellen Werkzeugmaschinenpark umfassend zu modernisieren. Dieser «Plan» der Familienaktionäre war insofern fehlerhaft, weil sie das Geld zum Schluss für die Deckung der Betriebsverluste ausgeben mussten. Gerade auch in ihrer Kernkompetenz elektrische Grossmaschinen verlor die MFO den Anschluss an die neuen technischen Entwicklungen.

Grosse Verluste erlitt die MFO bei einigen Generatoren und Transformatoren, die dem Dauerbetrieb nicht standhielten. Bei den Generatoren war die Ursache eine aus drei Teilen zusammengebaute Welle des Generators, die zu Bruch ging. Während des Zweiten Weltkriegs konnten einteilige Wellen nicht mehr beschafft werden und somit baute man sie aus drei Stücken zusammen. Fachleute von Sulzer beurteilten die MFO-Konstruktion als fehlerhaft und unfachmännisch. Obwohl eine Generator-Welle schon im Probebetrieb in einer Schleudergrube der MFO 1949 brach, verwendete die Firma die fehlerhafte Konstruktion mehrfach weiter mit finanziellen Folgen im Millionenbereich. Die MFO hatte zu dieser Zeit einen unfähigen Konstruktionsdirektor, den sie aber nicht entlassen wollte, weil sie nicht zeigen wollte, dass man in einer Krise steckte. Die Garantiearbeiten wegen fehlerhafter Produkte waren nach Meinung des Verwaltungsrates viel zu hoch.

Generator


Obwohl die MFO mit der nach ihrem Programm egalitären «Caux-Bewegung» (Moralische Aufrüstung) sympathisierte, war die die Fabrik in Oerlikon streng hierarchisch aufgebaut. Somit fehlte das Mitdenken der Arbeiter und Angestellten und des mittleren Kaders im grösseren Zusammenhang. Die MFO-Mitarbeiter lösten die von den Vorgesetzten gestellten Aufgaben zwar anerkannt gut, aber der internationale Wettbewerb hätte mehr vorausschauendes Handeln der Belegschaft und entsprechende Freiheiten erfordert. Da sich die Familien-Eigentümer in Oerlikon in verschiedenen Funktionen betätigten, sahen sie es als nicht notwendig an, ein vollbestücktes Direktorium in der Firma arbeiten zu lassen. So wurden die auftretenden Probleme in Produktion, Verkauf und Entwicklung der Maschinenfabrik zu wenig professionell und zu wenig systematisch angegangen. Von den neu eintretenden Manager-Kapitalisten wurden diese Defizite ab Mitte der 1950-er Jahre durch umfangreiche Fortbildungsprogramme aufgearbeitet und die Direktion zielgerichtet aufgebaut und ergänzt.

So erlebte die MFO ab Mitte der 1950-er Jahre eine Transformation von einer Familien-Aktiengesellschaft in eine Manager-Aktiengesellschaft. Der Verwaltungsrat mit dem Präsidenten Georg Heberlein war nach grossen Verlusten mit der amerikanischen «Pacific Oerlikon Company», dem misslungenen Geschäft mit Gyrobussen und dem schlechten Geschäftsgang der MFO trotz Hochkonjunktur zum Schluss gekommen, dass Personen ausserhalb der Familien Schindler/Huber die Maschinenfabrik leiten sollten. Mit Franz Luterbacher aus Bern wurde ein Jurist und Finanzfachmann engagiert, der zusammen mit den neuen Direktoren und den ETH-Ingenieuren Hans Rudolf Hofer und Werner Lindecker die Firma auf eine neue Basis stellte. Die Idee war, nur noch Produkte herzustellen, die am Schluss einen finanziellen Gewinn brachten. Die in weiten Teilen veraltete Fabrik bei Produkten, Werkzeugmaschinen und Gebäuden musste auf Vordermann gebracht werden. Luterbacher war allerdings Finanz- und Verwaltungsfachmann und wenig technikbegeistert, sodass in Bezug auf neue innovative Produkte von ihm kaum Impulse ausgingen. Auch in seiner späteren Karriere als Verwaltungsratspräsident der BBC zeigte er sich als Führungsperson zu wenig souverän.

Georg Heberlein (1902-1984), VR_Präsident MFO 1955 – 1967 (Autografensammlung Bibliothek am Guisanplatz)
Franz Luterbach, seit 1955 in der Geschäftsleitung der MFO,
1964 – 1967 Direktionspräsident; VR-Delegierter 1967- 1969
und 1970 – 1985 VR-Präsident der BBC
Hans Rudolf Hofer, Produktionsdirektor der MFO 1955 -1964,
1965 – 1967 Planungs- und Personaldirektor
Werner Lindecker, Technischer Direktor der MFO 1957 – 1964


Von 1957 bis zur Fusion mit BBC 1967 wurde die MFO von den neuen Managern erfolgreich restrukturiert. Die notorischen Probleme mit nicht eingehaltenen Terminen der MFO wurden durch konsequentes Anwenden der industriellen Produktionsregeln unter Leitung von Direktor Hans Rudolf Hofer gelöst. Täglich waren in den 1950-er Jahren in der MFO mit über 4’000 Mitarbeitern 80’000 Werkstücke mit 300’000 Arbeitsoperationen in Bearbeitung. Pro Woche wurden 15’000 bis 20’000 Arbeitskarten (Lochkarten) für die Produktion erstellt. Von den neuen Manager-Kapitalisten wurden Team-Bildung und Mitdenken verlangt und gefördert. In der grundsätzlich horizontalen Organisation der MFO wurde der ehemalige Jagdflieger Werner Lindecker als Trouble-Shooter eingesetzt. Er löste zahlreiche seit Jahrzehnten bestehende Produktionsprobleme bei den Bahnen, Turbinen und der Apparatefabrik, welche aus einem Mangel an Durchblick und Energie im zähen Teig der MFO nie angegangen worden waren.

Die betriebliche Situation der MFO konnte so nach dem Tiefpunkt 1956/57 markant verbessert werden. Doch MFO-Direktionspräsident Franz Luterbacher gab zu bedenken: «Die Situation auf dem Weltmarkt hat sich besonders in den letzten Jahren stark verändert. Der gewaltige industrielle Wiederaufbau in der Nachkriegszeit und die allgemeine Expansion führte in verschiedenen Bereichen unserer konventionellen Erzeugnisse zu Überkapazitäten und als Folge davon zu starkem Preisdruck. Ferner stellen wir fest, dass zahlreiche Industrieländer die staatlichen Massnahmen zur Förderung ihrer Exportindustrie energisch ausbauen … Es ist undenkbar, dass eine Firma mittlerer Grösse wie die MFO solche Entwicklungen (z.B. Atomkraftwerke, Magnete für Teilchenbeschleuniger) allein an die Hand nehmen könnte, handelt es sich doch hier um Aufgaben, die auch die Kräfte von sehr viel grösseren Unternehmungen oft übersteigen dürften.» In diesem Zusammenhang ist nicht zu vergessen, dass der Schweizer Markt weitgehend gesättigt war. Die Kraftwerke waren grösstenteils gebaut, wobei fast die Hälfte über eine elektrische Ausrüstung der MFO verfügte.

Diese Gründe dürften den Direktionspräsidenten Luterbacher bewogen haben, eine längerfristige Lösung mit einem Partner zu suchen. 1965 fanden Gespräche mit der BBC statt. Die beiden Maschinenfabriken machten gründliche Studien zur möglichen Kooperation. Die Produktionsbereiche überschnitten sich weitgehend. Es bestand die Hoffnung, dass die fixen Kosten für ein Produkt nach dem Zusammenschluss nur noch einmal anfallen. Es kam 1965 aber noch nicht zur Zusammenarbeit, weil in der MFO die internen Widerstände der Familienaktionäre zu gross waren. Zwei Jahre später verhandelte Franz Luterbacher im Geheimen mit der BBC über einen Zusammenschluss. Die Familienaktionäre waren in diese Gespräche nicht mehr einbezogen. Die Familien Schindler/Huber dürften zusammen noch etwa knapp 10 % der vinkulierten Namenaktien gehalten haben. Vom Alleingang Luterbachers überrascht, stimmten sie 1967 der Zusammenarbeit zu. Das Machtzentrum lag jetzt bei den Manager-Kapitalisten und dem immer stärker angelsächsisch geprägten Finanzmarkt. Für die BBC hatte die Fusion nur Vorteile. Der Break-even-Point in der MFO war offenbar wieder überschritten worden und der Gewinn des Oerlikoner Unternehmens war nach den Berechnungen der BBC so hoch, dass sie die Übernahme mit dem Ertrag aus der MFO finanzieren konnte. Die Badener kamen also quasi «gratis» zur MFO und erhielten darüber hinaus noch eine moderne, neu gebaute grosse Transformatoren-Fabrik sowie Werkzeugmaschinen im Wert von 20 Mio Franken. Die MFO-Aktionäre konnten ihre Aktien in eine Wandelanleihe der BBC umtauschen, welche einen festen Ertrag brachte, der 30 % höher war als die bisherige Dividende der MFO.

Nach dem Zweiten Weltkrieg erbaute Grosstransformatorenfabrik der MFO


Für die Arbeiter und Angestellten der MFO war die Bekanntgabe der Fusion ein schwarzer Tag. Bisher waren sie darauf getrimmt worden, man müsse als Konkurrent gegen die BBC ankämpfen. In den folgenden Jahren sahen sie jedoch die Vorteile des Zusammengehens. Im Oerlikoner Werk konnte man wieder an die Weltspitze der Elektrotechnik gelangen und gute Aufträge mit verbesserten Produktionsmitteln ausführen. Die BBC hatte zwar die gleichen Probleme auf den internationalen Märkten mit Protektionismus wie die alte MFO, gehörte aber anerkanntermassen zu den elektrotechnisch weltweit führenden Unternehmen. Die MFO hätte früher oder später eine Integration in einen Grosskonzern suchen müssen. Die Freigabe der Wechselkurse 1971 und die später folgende markante Höherbewertung des Schweizerfrankens hätte die innovationsschwache MFO im Mark getroffen. Das legendäre Wertschriftenportefeuille aus der Blütezeit der MFO – seinerzeit mehrheitlich aufgebaut aus staatlichen Aufträgen zur Elektrifizierung der Schweiz – war zur Deckung von Verlusten und geschäftlichen Abenteuern aufgebraucht. In diesem Sinne war die Fusion BBC/MFO im Jahr 1967 für das Oerlikoner Unternehmen ein Glücksfall.

Literatur:

Peter Ritschard, Das Ende einer Legende. Die Maschinenfabrik Oerlikon 1945 – 1967erscheint im Frühling 2025 bei HIER+JETZT.